Im Psychotherapieverfahren Verhaltenstherapie gehört Achtsamkeit zu den häufigen "Standardzutaten" vieler Therapien, insbesondere wenn nach der Dritten Welle der Verhaltenstherapie vorgegangen wird. Kurzgesagt ging es in der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) traditionell darum, kognitive Verzerrungen zu erkennen und zu verändern , während der Umgang mit Denken und Wahrnehmen an sich im Fokus der Verhaltenstherapie der Dritten Welle steht.
Zwar kennen heute sehr viele Menschen den Begriff "Achtsamkeit". Aber ich merke in der Psychotherapie, dass es sehr oft Missverständnisse darüber gibt.
Achtsamkeit: Missverständnisse und Mythen
Dazu gehört die Vorstellung, dass Achtsamkeit ein Entspannungsverfahren sei, so wie die Progressive Muskelentspannung (PMR) oder das Autogene Training. Aber Achtsamkeit bedeutet nicht Entspannung, sondern Wahrnehmen und Beobachten. Ein weiterer Mythos ist, man könne Achtsamkeit "einsetzen", um Stress zu reduzieren oder um unangenehme Gedanken und Gefühle zu kontrollieren. Dabei geht es bei Achtsamkeit in Wirklichkeit um das Annehmen von allen Formen des Erlebens. Sehr verbreitet ist auch die Idee, dass Achtsamkeit eine Art "Endzustand" sei, eine Erleuchtung, die man erreichen könnte wie die Weisheit in höherem Alter. Tatsächlich ist Achtsamkeit kein Ziel, sondern ein Prozess, es geht um das Üben im Alltag.
Jon Kabat-Zinn
Mittlerweile gibt es Tausende Content-Creater*innen auf Instagram und TikTok, die Achtsamkeit propagieren und damit Geld verdienen. Manche interpretieren Achtsamkeit auf ihre ganz eigene Weise und stellen sie in den Kontext von pseudowissenschaftlichen und esoterischen Angeboten, wie Katharina Nocun und Pia Lambety in ihrem Buch "Gefährlicher Glaube" berichten. Dabei gibt es Achtsamkeitsübungen schon sehr viel länger als jede Social Media App: Zum einen gehen sie zurück auf einen buddhistische Tradition von vor mehreren Tausend Jahren. Zum anderen war es vor allem Jon Kabat-Zinn, der in den 1970ern Jahren die heutige im Gesundheitssystem eingesetzte Form der Achtsamkeit entwickelte.
Viele Menschen haben schon einmal von der Übung "Body Scan" gehört. In der heutigen Form geht sie auf Jon Kabat-Zinn zurück. In einer Episode "Sternstunde Philosophie" ist Jon Kabat-Zinn zu Gast. Er ist Biologe, hat Molekularbiologie am renommierten MIT studiert und mit Salvador Luria zusammen gearbeitet, der den Nobelpreis gemeinsam mit Max Delbrück und Alfred Day Hershey erhalten hatte. Im Jahr 1979 hat Jon Kabat-Zinn einen Therapieansatz namens Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) ins Leben gerufen. Ihm war klar, dass Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen für ihre Patient*innen nicht alle unangenehmen Phänomene "entfernen" können, wie zum Beispiel chronische Schmerzen.
In der Sendung zitiert Jon Kabat-Zinn Henry David Thoreau:
"I went to the woods because I wished to live deliberately, to front only the essential facts of life, and see if I could not learn what it had to teach, and not, when I came to die, discover that I had not lived"
In seinem 1990 erschienenen Buch "Full Catastrophe Living" nennt er viele praktische Übungen, wie man Achtsamkeit so üben kann, wie sie auch heute zum Einsatz kommt in der Verhaltenstherapie, nämlich der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Beispielsweise macht er den Vorschlag, einen beginner's mind zu praktiz
Nebenwirkungen von Achtsamkeit
Es gehört zu den gesetzlichen Pflichten aller Psychotherapeut*innen: Die Aufklärung über die Wirkungen und Nebenwirkungen von Therapiemaßnahmen wie Achtsamkeit. Oft wird die Studie des Psychologen Jochen Gebauer von der Uni Mannheim genannt. Er zeigte, dass Menschen, die Meditation und Yoga praktizieren ein größeres Selbstwertgefühl haben als Menschen, die nicht Meditation praktizieren. Dieses Ergebnis wurde so interpretiert, dass Menschen, die Meditation praktizieren, dadurch sich für etwas besseres halten würden, nur auf ihr eigenes Wohlergehen fokussiert seien und sich nicht mehr für die Belange anderer interessieren würden.
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