Aktuell starten gleich zwei neue Serien, in deren Zentrum Psychotherapeut*innen bzw. Psychiater*innen stehen:
Shrinking
Umgangssprachlich geht man in den USA nicht zum psychotherapist, sondern zum shrink. Vermutlich kam die Verwendung des Begriffs shrink (schrumpfen) auf als ironische Anspielung auf Kopfjäger und ihrer Trophäen, die Schrumpfköpfe.
Die Serie handelt von drei Therapeut*innen in Pasadena, Kalifornien, die in einer Art Gemeinschaftspraxis zusammen arbeiten: Paul Rhodes (gespielt von Harrison Ford), Jimmy Laird (Jason Segel) und Gabby (Jessica Williams). Am Eingang befindet sich ein Schild: Es handele sich um eine Praxis für Cognitive Behavioral Therapy - wobei Jimmy in der ersten Folge den Psychoanalytiker C.G. Jung zitiert...
Folge 1 stellt Jimmy ins Zentrum des Geschehens. Er ist selbst belastet durch den Tod seiner Frau. Zusätzlich ist der Kontakt zwischen ihm und seiner Tochter angespannt-distanziert. Unangenehme Gefühle versucht er durch dysfunktionale Problemlösestrategien wie Alkohol und Adderall zu bewältigen. In der Psychotherapiepraxis spricht er mit einem Patienten nach dem anderen. Aber irgendwann erträgt Jimmy es nicht mehr, empathisch und geduldig seinen Patient*innen zuzuhören: Ihren Alltagsproblemen, die keine richtigen psychischen Störungen sind. Und sie würden am Ende sowieso machen, was sie wollen. Und es sei frustrierend, Patient*innen jahrelang vorsichtig neue Sichtweisen vorzuschlagen, die Lösung vieler Probleme wäre oftmals nicht Denken und Reden, sondern Handeln. Sein Kollege Paul erkennt bei Jimmy eine "Compassion Fatigue". Das bedeutet so viel wie "Mitgefühls-Erschöpfung".
Jimmy hält es nicht mehr aus, sich "therapeutisch korrekt" im Sinne von empathisch-verstehend zu verhalten: Einer Patient*in sagt er unverblümt und ehrlich, was er denkt: Ihr Partner behandele sie seit Jahren so dermaßen schlecht, das einzig Vernünftige wäre, sich von ihm zu trennen. Ein anderer Patienten kommt mit einer Auflage zu Jimmy ins Erstgespräch: Er muss ein anger management machen, nachdem er jemanden brutal zusammengeschlagen hat. Auch hier hat Jimmy Ideen, die so nicht "in the book", im Lehrbuch stehen.
Shrinking finde ich sehr unterhaltsam. Neu ist die Darstellung eines Psychotherapeuten, der es nicht mehr erträgt, sich gemäß den klassischen therapeutischen Basisvariablen "unbedingte Wertschätzung" und "Empathie" zu verhalten. Übrigens gibt es durchaus Therapieformen, in denen eine andere Beziehungsgestaltung konzeptionell vorgesehen ist (und ich meine nicht nur die Provokative Therapie nach Frank Farelly): In Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung schreiben Stiglmayr & Gunia (2017):
Validierungsstufe 6 (V6) bedeutet die radikale Echtheit des Therapeuten... Der Therapeut verhält sich normal und spontan, behandelt den Patienten als gleichwertige Person. In der DBT wird demnach erwartet, dass der Therapeut sich nicht hinter therapeutischen Floskeln versteckt. Stattdessen wird erwartet, dass der Therapeut sich als Person mit seinen Stärken und Schwächen präsentiert, eine echte und reale Beziehung eingeht. Er redet und verhält sich so, als wenn er sich mit einem Freund oder einer Freundin träfe. Dies bedeutet allerdings nicht, auch dieselben Inhalte, die mit einem Freund oder einer Freundin besprochen werden, mit dem Patienten zu teilen. Die Grundidee ist: Behandle ich mein Gegenüber wie einen Kranken, wird es sich krank verhalten.
Wenn man Seminare besucht und die Literatur liest über Selbstfürsorge für Psychotherapeut*innen, ist oftmals eine Idee zentral: Weniger Verantwortung übernehmen für das Gelingen bzw. Misslingen einer Psychotherapie. "Du bist verantwortlich für das Nicht-Vorankommen des Patienten!" sei eine Art der Verantwortungsübernahme, die "in Teufels Küche" scheibt Pigorsch (2019) in Der innere Kritiker von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
In Therapie
Staffel 2 ist erschienen der aus Frankreich stammenden Serie "In Therapie". In Staffel 1 behandelt der Psychotherapeut Philippe Dayan in seiner Praxis fünf verschiedene Patient*innen, die durch die Terroranschläge im Herbst 2015 in Paris psychisch betroffen waren. In der neuen zweiten Staffel, angesiedelt kurz nach dem Ende des ersten Corona-Lockdowns, behandelt Philippe Dayan vier neue Patient*innen.
Manche meiner Patient*innen haben die US-Serie "In Treatment" gesehen, andere wiederum die Serie SAFE von Caroline Link. Beide Serien führe ich im Rahmen der Probatorik vor Psychotherapiebeginn an im Kontakt mit meinen Patient*innen, um zu erklären, wie eine Kognitive Verhaltenstherapie nicht abläuft. Zwar gibt es einige Gemeinsamkeiten - man bespricht gemeinsam Probleme mit dem Ziel, dass es einem besser gehen soll - aber sehr sehr viele Unterschiede zwischen der dargestellten Therapie und einer Kognitiven Verhaltenstherapie. Zum Beispiel sieht man in den oben genannten TV-Serien nie Inhalte, die die Grundlage einer Verhaltenstherapie bilden: Die ausführliche Aufklärung über die gestellte Diagnose sowie die detaillierte Besprechung aller infrage kommenden Behandlungsmöglichkeiten sowie die Evidenz anhand wissenschaftlicher Leitlinien und auch nie Psychoedukation, anhand derer Patient*innen überhaupt erst die Entstehung und Aufrechterhaltung der Problematik anhand eines biopsychosozialen Modells erfahren.
In der Süddeutsche Zeitung nimmt Werner Bartens Bezug zur Serie "In Therapie": "Ist doch nur psychisch" heißt der Artikel. Er kritisiert, dass normalpsychologische Phänomene immer häufiger im Alltag mit pathologischen Begriffen bezeichnet werden. Diese "Entgrenzung" sehe man beispielsweise oft an Formulierungen wie etwas sei "schizophren" oder wenn eine gewisse Freudlosigkeit in den Wintermonaten schnell als "depressiv" bezeichnet werden. Die ungenaue Verwendung solcher Begriffe sei leider "Tradition" in Deutschland. Sie beschreiben eine gefühlte Wahrheit, die eine hilfreiche Debatte durch Unschärfe verhindert. Geradezu "verhunzt" worden seien die Begriffe "psychisch" und "psychosomatisch", sie seien missbräuchlich verwendet worden.
Die zwei Seiten der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen
Bartens zeigt nachvollziehbar auf, dass die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen leider zwei Seiten hat, eben nicht nur eine positive: Gut ist, dass es heute viel selbstverständlicher geworden ist, über psychische Probleme zu sprechen und auch über die Psychotherapie, die man gerade macht oder früher einmal gemacht hat. Andererseits gebe es gegenläufige Tendenzen: Diese bestünden darin, dass psychische Erkrankungen und das Leiden von Menschen als weniger bedeutend bewertet werden ("ist ja nur psychisch") im Vergleich zu "richtigen" Erkrankungen, dann sind körperliche Erkrankungen gemeint. Bartens nennt als Beispiel Menschen, die unter Long Covid leiden: Diese würden einen Kampf darum führen, dass ihr Leiden nicht psychisch verursacht sei, sie würden eine rein organische Verursachung sehen wollen.
Das Denken im Gesundheitssystem ist traditionell dualistisch: Entweder man ist krank oder gesund. Entweder man hat ein psychisches Problem oder ein körperliches. Dieses Denkmodell ist selbstverständlich überholt, was nichts daran ändert, dass es weiterhin die populärste Art des Denkens ist.
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