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Martin Rettenberger, Helmut Remschmidt & Dirk Baier zu Tötungsdelikten von Kindern, sog. Amokläufer

Der mit Abstand häufigste Vorstellungsanlass in meiner Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist oppositionelles, aggressives und dissoziales Verhalten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wegen Störungen des Sozialverhaltens erscheinen Eltern auf Druck der Schule oder des Jugendamtes in meiner Psychotherapeutischen Sprechstunde zum Erstgespräch. Ein Großteil dieser Patient*innen hat dann bereits erhebliche Schwierigkeiten und es existiert ein recht stabiles Verhaltensmuster: Sie haben beispielsweise schon mehrere Schulverweise bekommen, sind schon aus stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe "rausgeflogen", wurden mehrfach bei Diebstählen bei Kaufland und EDEKA "erwischt", haben einen schädlichen Substanzgebrauch und die psychosoziale Lebenssituation ist vielfältig belastet.


Wegen sogenannter Amokdrohungen von Patient*innen von mir, sind auch schon Schulen geräumt worden. 950.000 Waffenbesitzer*innen gibt es in Deutschland. Einige Patienten (hierbei muss bislang nicht gendert werden, da es sich bisher ausschließlich um männliche Jugendliche handelt) meiner Praxis mit einer Störung des Sozialverhaltens berichteten, dass ihre Leidenschaft Waffen seien. Deswegen würden sie später gerne einmal bei der Bundeswehr oder zumindest bei der Polizei arbeiten wollen. Regelmäßig muss ich Jugendliche darüber aufklären, dass die Diagnosestellung einer Sozialverhaltensstörung bei einer gewünschten Verbeamtung ungünstig ist, wenn eine Berufstätigkeit mit einer Waffe angestrebt wird. Solche Berichte und Problemlagen sind wie gesagt keine Seltenheit in Praxen für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Man geht davon aus, dass ein externalisierendes Verhaltensproblem (wie aggressives oder dissoziales Verhalten im Rahmen von Sozialverhaltensstörungen) nicht selten vom sozialen Umfeld schneller als problematisch bewertet wird, sodass eine Nachfrage bei Psychotherapeut*innen entsteht. Internalisiernde Probleme (wie ein geringes Selbstwertgefühl oder Niedergeschlagenheit) dagegen kann zum Beispiel von Lehrer*innen als weniger störend erlebt werden, sodass nicht unmittelbar eine Anmeldung in Therapiepraxen als zwingend bewertet wird.


Die Einschätzung von Eigen- und Fremdgefährdung erfolgt standardmäßig immer in der Phase der Diagnostik vor Therapiebeginn, aber auch fortlaufend, wenn eine Psychotherapie eingeleitet wurde. Eine treffsichere Einschätzung ist aber oft nicht leicht, wenn Patient*innen zum Beispiel Andeutungen machen, wie ich sie mehrfach gehört habe: "Wenn ich Ihnen Ihre Frage beantworten würde, wäre das nicht gut", ist beispielsweise eine Antwort von Patient*innen, nachdem ich über die gesetzlichen Regelungen zur Schweigepflicht aufgeklärt habe. Gesetzlich geregelt ist, dass Psychotherapeut*innen grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, wenn sie von einsichtsfähigen Patient*innen Informationen erhalten. Die Ausnahme bildet akute Eigengefährdung - und Fremdgefährdung wie zum Beispiel ein geplanter Mord. In diesem Fall sind Psychotherapeut*innen zum Abwenden einer Gefährdung verpflichtet.


In Situationen, in denen eine Fremdgefährdung nicht sehr unwahrscheinlich war nach meiner Einschätzung, habe ich eine stationäre Behandlung in der regional zuständigen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie verordnet. Oftmals wurde leider in der Folge von der Klinik meine Indikationsstellung für die Krankenhauseinweisung (gewaltvolle Rachephantasien im Kontext einer Störung des Sozialverhaltens / Persönlichkeitsstörung) nicht weiter beachtet: Es handele sich um aufmerksamkeitssuchendes Verhalten, daher sei nicht weiter darauf eingegangen worden.


Martin Rettenberger

Der Psychologe Prof. Dr. Martin Rettenberger,

Direktor der Kriminologischen Zentralstelle gab einen Tag nach dem sogenannten Amoklauf von Hamburg dem NDR ein Interview.


Martin Rettenberger erklärt, dass es Muster gebe bei sogenannten Amokläufern, zum Beispiel beim Tatmotiv: Wut, häufiges Sichbelästigtfühlen oder Gekränktfühlen durch andere, Groll, Gehässigkeit, Rachsucht. Genau das sind Symptome von Störungen des Sozialverhaltens.


Die Behörden (die Waffenbehörde der Polizei Hamburg) erhielten wenige Wochen vor der Tat einen Hinweis: Der bewaffnete Täter habe eine besondere Wut auf religiöse Anhänger*innen geäußert und sogar ein Buch verfasst, in welchem er Massenmord als legitim darstellt, berichtet die Süddeutsche Zeitung. In diesem Buch lobt er Adolf Hitler und den Antisemitismus.


Helmut Remschmidt

Der ehemalige Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg, Helmut Remschmidt, ist Autor des Fachbuches "Tötungs- und Gewaltdelikte junger Menschen".



Darin beschreibt er Untersuchungsergebnisse über die Beschäftigung mit jungen Menschen, die ein Tötungsdelikt begangen haben. In der FAZ-Rezension wird der typische Tagesablauf eines Jugendlichen, der das "Potential" habe, zum Gewalttäter, Mörder oder Totschläger zu werden, geschildert:


„Er ist 17 Jahre alt, er stammt aus einer problematischen Familie ... Der Vater ist Alkoholiker, die Mutter depressiv, er lebt ... bei seiner alleinerziehenden Mutter im 5. Stock eines Mehrfamilienhauses einer Großstadt. Er hat die Hauptschule abgebrochen, den Berufsvorbereitungslehrgang ,geschmissen’, Bewerbungen ... gar nicht erst geschrieben. Seine Mutter, die eine Teilzeitstelle als Reinigungskraft hat und morgens um 7 Uhr das Haus verlässt, hat jeden Einfluss auf ihren Sohn verloren. Er schläft bis nachmittags um 16 Uhr ... und trifft sich um 18 Uhr mit seiner Clique, bewaffnet mit einer Flasche Wodka und einem Messer.“


Im Tagesspiegel-Interview und im Redaktionsnetzwerk Deutschland bewertet er die Tötung eines zwölfjährigen Mädchens in Freudenberg durch zwei andere Kinder. Die Täter*innen sind 12 Jahre und 13 Jahre alt. Wenige Tage nach dem Geständnis der Kinder erklärte der Staatsanwalt, dass nicht weiter ermittelt werde: „Wir legen diesen Fall jetzt in die Hände der Jugendbehörden“, sagt Staatsanwalt Mannweiler.


Schuldunfähigkeit

Wie bei jeder öffentlichkeitswirksamen Tat gibt es auch jetzt wieder die Forderung nach einer Strafrechtsreform "damit sich so etwas nicht wieder ereignet". Dabei wird immer wieder fehlerhaft davon ausgegangen, dass das Strafrecht ein geeignetes Mittel zur Prävention gesellschaftlicher Probleme sei.


Im WDR sagt die Rechtsanwältin Jennifer Nadolny, man könne überlegen, das Gesetze zu verändern, damit künftig nicht erst ab 14 Jahren Täter*innen strafmündig seien. Das wäre angezeigt, da heutzutage Kinder früher erwachsen würden, meint sie. Dasselbe sagt Günter Krings (CDU) in der Süddeutschen Zeitung.


§19 StGB besagt:

"Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist"

Gewaltforscher Dirk Baier

Der Gewaltforscher Dirk Baier führt im SPIEGEL eine Einordnung durch über die getötete 12-jährige.

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