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Schäm dich!

Das Gefühl Scham wurde in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit vor allem in einem Kontext besprochen: Der Begriff Flugscham entand Jahr 2017 und beschreibt das Erleben von Scham angesichts eines Verhaltens, das die menschengemachte globale Erwärmung beschleunigt.


Was ist Scham? Man kann Basisemotionen wie Wut, Trauer, Freude, Angst unterscheiden von sozialen Emotionen, die das Zusammen beeinflussen. Scham ist eine solche soziale Emotion. Sie tritt auf beim Erleben, gegen soziale Normen und Ideale verstoßen zu haben. Deswegen gehen wir davon aus, dass Neugeborene nicht zu Scham in der Lage sind, sondern im Alter von drei bis fünf Jahren zeigt ein Kind in der Regel die ersten Anzeichen von Scham. Scham macht darauf aufmerksam, dass ein Verlust an sozialer Stellung droht, ein Ausschluss aus der Gemeinschaft.


Ein Pranger, vor dem Bonner Münster:

Vor dieser Kirche konnten Menschen mit Kot beworfen werden (vgl. den "shitstorm" auf social media). Andere zu beschämen ist ein Instrument, um Macht über andere Menschen auszuüben.


Scham kann sich auf allen Ebenen das Verhaltens zeigen: in den Gedanken, als Gefühl, als körperliche Reaktion und in unserem äußerlich sichtbaren Verhalten. Beispielsweise durch Erröten, Selbstabwertungen und dem Impuls, zu fliehen und die Situation zu vermeiden.


Scham ist ein normales Gefühl. Wie alle normalen Gefühle können sie jedoch manchmal zu großem psychischem Leid und dann zu Folgeproblemen führen: Wenn durch Schamgefühle Menschen denken, dass sie insgesamt nichts wert, nicht in Ordnung sind, ihre Selbstachtung also beträchtlich leidet, wenn sie immer wieder erfolglos gegen Gefühle ankämpfen, wenn die unerwünschten Gefühle das Leben bestimmten.


Häufige Scham-Themen sind der menschliche Körper (z.B. Nacktheit), körperliche Vorgänge (z.B. der Toilettengang, das Schmatzen) sowie sexuelles Verhalten und Erleben. Deswegen ist es kein Zufall, wann und wo der Neurologe Sigmund Freud seine Ideen entwickelte: Rund um das Jahr 1899 in der Oberschicht von Wien erlebte er, dass Menschen Regeln und Normen verinnerlicht haben. In dieser Instanz, dem Über-Ich, gibt es moralische Gebote und Verbote als Forderungen, die gegen die Forderungen des Es, des Lustprinzips, gerichtet sind.


Für die Psychotherapie gibt es mehrere Konzepte in Bezug auf Scham: Viele Menschen würden im Verlauf des Lebens nicht mehr direkt die ursprüngliche Emotion Scham spüren, da sie im Verlauf der Zeit Wege gefunden haben, damit umzugehen. Das kann einerseits hilfreich sein und andererseits nachteilig. Der Nachteil besteht darin, dass ein abgeschwächtes Schamerleben ein anhaltender ungewollter Begleiter im Leben geworden sein kann - ein Begleiter, der so diffus ist, dass wir es nicht leicht haben, einen hilfreichen Umgang damit zu finden. In einer solchen Situation ist es nützlich, sich biografisch dem Verhalten und Erleben zu nähern - um anschließend einen neuen Umgang mit diesen Phänomenen zu finden.


In der aktuellen Zeit geht es in einem Essay von Matthias Kreienbrink um das Thema Schamgefühle. Zu Wort kommt dabei auch mein Kollege, der Psychotherapeut Umut Özdemir. Genau wie er habe ich auch Konfrontationsübungen mit Patient*innen am Alexanderplatz gemacht. Was ich nicht gemacht habe: Mir zusammen mit dem Patienten auf dem Alex die Haare gewaschen.




Kreienbrink beginnt seinen Essay mit den Folgen eines Tweets, der die Urheberin einen shitstorm einbringt. Das erinnert an das Buch von Jon Ronson: So you've been publicly shamed. "Die Scham" von Annie Ernaux wird im Essay erwähnt und Kreienbrink erklärt, dass dieses Gefühl manchmal so mächtig ist, dass es einen Menschen formt. Das Tolle am Essay von Kreienbrink ist, dass er aufmerksam macht auf die soziale Konstruktion des Schamerlebens: Wofür sich Menschen schämen ist heute anders als früher und anders ja nach Ort auf dem man sich in der Welt aufhält. Umut Özdemir selbst sei ein Beleg für den Rückgang der Scham in unserer Gesellschaft: Früher hätten sich Menschen eher nicht "getraut", in der Öffentlichkeit (auf TikTok, Instagram) über Selbstbefriedigung zu sprechen.

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