Viele Patient*innen wissen nicht, dass das Fachgebiet Psychosomatik nicht nur die Verbindung zwischen psychischen und körperlichen Vorgängen betrachtet, sondern von ganz bestimmten Theorien ausgeht. Die zentrale Annahme lautet, dass intrapsychische Konflikte somatische Beschwerden auslösen. Die zugehörigen Theorien beruhen meistens auf Annahnen, die sich prinzipiell nicht wissenschaftlich überprüfen lassen.
Konversionsstörung
Am besten lassen sich die Prinzipien der Psychosomatik verstehen am Beispiel der Konversionsstörung. Körperliche Symptome sind wie ein Rätsel des Unbewussten: Sie sind die sichtbaren Anzeichen einer in der Tiefe liegenden Ursache, ein Trauma, das aufgedeckt werden muss.
Long Covid und Post Covid
Solche Krankheitkonzepte haben manche Menschen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erlebt: Betroffene von Long Covid und Post Covid berichten immer wieder, dass psychosomatische Ärzt*innen davon ausgingen, dass es sich bei ihren Beschweren um eine Erkrankung handele, an der psychische Faktoren maßgeblich beteiligt wären. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass es in vielen Ländern der Welt gar kein eigenes Fach "Psychosomatik" gibt. Dort wird das biopsychosoziale Modell genutzt im Gesundheitssystem. In Deutschland haben wir zusätzlich zu Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapie zusätzlich eigenständig Fachärzt*innen für Psychosomatische Medizin und eigene Lehrstühle für Psychosomatik.
Eines der grundlegenden Probleme der sogenannten Psychosomatik ist folgende Denkweise: Wenn Patient*innen leiden, obwohl es keine auffindbare körperliche Ursachen für dieses Leiden gibt, dann muss es "psychisch sein". Dieses Denken und Vorgehen anhand von Ausschlussdiagnosen ist weit verbreitet in Deutschland. Psychosomatische Vorstellungen waren für viele Behandler*innen so überzeugend, dass zum Beispiel Magengeschwüre eine sehr lange Zeit für eine überwiegend stressbedingte Erkrankung betrachtet wurden - dann hat man Heliobacter pylori entdeckt.
Die Geschichte der Psychosomatik
Ein Blick in die Geschichte der Psychosomatik zeigt eine Reihe weiterer Irrtümer. Im Nachhinein zeigt sich, dass "psychosomatisch" oft ein Synonym für "ist komplex" oder "haben wir noch nicht verstanden" war: Asthma, rheumatoide Arthritis, Hyperthyreose, Migräne, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn. Auch beim Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrome, I.B.S.) gibt es auch heute noch Verursachungsideen, die "die Psyche" ins Zentrum stellen anstelle von komplexen Wechselwirkungen in einem biopsychosozialen Modell: Davon berichtet eine Autorin in der New York Times: Are My Stomach Problems Really All in My Head?, fragt die Autorin. Sie habe nach jahrelangen Behandlungen bei verschiedenen Ärzt*innen gelernt, dass es wohl ihr Unbewusstes (engl. subconscious) sein müsse, das ihr auf den Magen schlägt - bis neue Forschung biologische Faktoren wieder mehr betonten.
Auch heute noch im Jahr 2023 gibt es Fortbildungen, akkreditiert durch die Psychotherapeutenkammer, in denen man lernen kann, dass dass Asthma bei Kinder maßgeblich durch überängstliche, überprotektive Mütter hervorgerufen wird.
Definition der Begriffe
Der Begriff Long Covid sei von Patient*innen geprägt worden, sagt Prof. Carmen Scheibenbogen. Demnach hat man noch vier Wochen nach der Infektion anhaltende Symptome, erklärt die Leiterin des Fatigue Centrums der Berliner Charité.
Davon abzugrenzen sei nach Definition der WHO das Post-Covid-Syndrom. „Hier haben Sie noch drei Monate nach der Erkrankung Symptome, die auf eine Corona-Infektion zurückzuführen sind und Sie im Alltag einschränken“, erläutert Scheibenbogen. „Menschen, die nach zwei Monaten genesen sind, fallen also nicht in diese Kategorie.“
Medizinisch relevant seien vor allem Patienten, die dauerhaft krank blieben - also jene mit Post-Covid-Syndrom. Allerdings hat sich dafür in der Alltagssprache eben der Begriff Long Covid durchgesetzt. Man sagt also meist Long Covid, wenn medizinisch Post Covid gemeint ist.
Forschungsstand Anfang 2023
Der Stand der Forschung dass, oft vorschnell ein Gleichsetzen geschieht von "noch nicht ganz klarer Pathomechanismus = psychosomatisch". Das zeigt eine Veranstaltung der Leopoldina vom 26.01.2023:
Post-Exertionelle Malaise (PEM)
Ein gutes Video, das die Post-Exertionelle Malaise (PEM) erklärt – das Kernsymptom von ME/CFS, das auch häufig bei Long COVID auftritt:
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